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Ein Freund schreibt über einen Freund. Egon Fein für Max Grundig zum 75. Geburtstag.

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Kapitel 4 (aus obigem Buch) - - Erinnerungen

Zum Thema Finanzen:

Richtige Münzen gab es schon lange nicht mehr

Um sich vor Verlusten zu schützen, empfiehlt es sich dringend, alles nicht unmittelbar benötigte Bargeld wieder seiner natürlichen Bestimmung zuzuführen und bei der Sparkasse einzuzahlen.

Hatten also die verschreckten Bürger dem Frieden nicht getraut und ihre Markstücke lieber im Sparstrumpf versteckt, als sie irgendwelchen Geldinstituten anzuvertrauen, von denen man nicht wußte, wer sie kontrollierte.
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Zum Thema Wiederaufbau:

Die Bevölkerung wird aufgefordert, mit allen vorhandenen Baustoffen, vor allem mit Holz, sparsam umzugehen. Es ist strengstens untersagt, Balken und Kanthölzer als Brennholz zu verwenden, Und womit sollten die aus ihren Höhlen hervorgekrochenen Menschen ihr dünnes Süppchen wärmen, da es ja weder Kohle, Gas - und Strom noch weniger oder gar nicht gab.
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Zum Thema Weltpolitik:

Die Ausstreuung von Gerüchten oder Gesprächen, in denen vorgegeben wird, daß irgendwelche Mißhelligkeiten zwischen den Vereinten Nationen bestünden, müssen sofort verstummen. Sie stellen eine böswillige Handlung dar und werden von der Militärregierung demgemäß bestraft. Maulkorb nannte man so etwas. Aber darüber regte sich kein Mensch mehr auf, denn an solche Töne waren die Deutschen zwölf Jahre lang gewöhnt.

Was von den angeblich nicht existierenden Mißhelligkeiten zwischen den Vereinten Nationen zu halten war, gemeint waren die Westmächte und die Sowjets, das sollte sich schon wenig später herausstellen:
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Der "kalte" Krieg hatte begonnen

1947 beschuldigte Stalin die Westmächte ganz offen, für internationale Spannungen verantwortlich zu sein; 1948/49 versuchten die Sowjets, durch eine totale Landblockade Berlin abzuwürgen, was von den Amerikanern durch die Luftbrücke erfolgreich vereitelt wurde; und 1950 begleitete Kanonendonner in Korea endgültig den Bruch zwischen Ost und West. Aus Mißhelligkeiten, die man hartnäckig bestritt, sollte bald blutiger Krieg werden.

Nun, im Mai 1945, hatten wir andere Sorgen.
Wir hielten ganz einfach den Mund.

Wir waren die Verlierer und mußten nun zusehen, wie wir das Beste aus dieser Rolle machen konnten. Zum Glück hatte wenigstens das Wetter ein Einsehen. Es tat so, als sei gar nichts geschehen. Die Sonne schien auf Deutschlands Trümmerlandschaft, das Thermometer stieg auf über 25 Grad, der Mai zeigte Hochsommer- Allüren. Was für ein Glück, da Millionen Flüchtlinge und Ausgebombte auf den Straßen übernachteten und die meisten Häuser eher abbruchreifen Ruinen glichen als Wohnstätten.
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Anton Lifka und Josef Güthlein

So ein Tag war auch der 18. Mai 1945, ein Freitag im Frühsommer, morgens schon 14 Grad warm. Max Grundig wohnte draußen in Vach, in der Linde, erster Stock. Dort hatte der Wirt Egerer seine Fremdenzimmer und dort war Max Grundig untergekommen. Seine intakte Wohnung in der Moststraße 17 hatte ein amerikanischer Offizier mit ein paar Soldaten vorübergehend requiriert.

Das Geschäft in der Schwabacher Straße 1
war ebenfalls so gut wie unbeschadet durch den Krieg gekommen. Max Grundig hatte sich ein paarmal dort umgesehen, und nun überlegte er, wie er es wieder anpacken konnte.

"Erst habe ich gar keine Lust gehabt. Die ganze Geschichte, das ganze Theater. Man hat ja nicht gewußt, wie, wo und was! Am liebsten hätte ich gar nichts mehr gemacht", erinnert sich Max Grundig.

An diesem 18. Mai erschienen in der Linde in Vach zwei alte Mitarbeiter, Anton Lifka und Josef Güthlein. Einen Monat war es jetzt her, daß sie die Maschinen abgestellt und den Laden dichtgemacht hatten. Die ukrainischen Mädchen lebten zum großen Teil noch in Vach; einige waren in ein Auffanglager gezogen und warteten auf ihre Heimreise in die Sowjetunion; andere blieben und heirateten später deutsche Männer.

Chef, sagten Lifka und Güthlein, "was machen wir?" Eine gute Frage. "Laßt uns mal nachdenken, dann wird uns schon was einfallen." Sie pilgerten gemeinsam nach Fürth, in die Schwabacher Straße 1, schlossen den Laden auf. "Und was jetzt?" fragte Lifka. "Na, das siehst ja, verkaufen können wir nichts. Es gibt nichts. Aber reparieren. Wir haben schließlich draußen in Vach unsere Wickelmaschinen, Draht und Blech. Das Zeug holen wir jetzt rein."
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Nach dem Schock und der "Stille" muß ein Neuanfang her

Der alte Max Grundig war wieder erwacht. Der Schock der Niederlage, die große Stille nach dem Sturm, die Resignation, die sich überall ausbreitete, die Unsicherheit - er überwand diese Hemmnisse schneller als andere. Während man sich in Großbetrieben wie Siemens, Telefunken, Blaupunkt, Mende erst die Wunden leckte, den Bestand sichtete, konferierte, überlegte, vorbereitete, krempelte der 37jährige Max Grundig die Ärmel hoch, um größer zu werden als die Großen. In diesen Tagen legte er den Grundstein für Europas bedeutendstes Werk der Unterhaltungselektronik.

 

Denkt man heute darüber nach, erscheint dies alles ganz logisch, beinahe selbstverständlich. Damals jedoch, inmitten eines zerstörten Landes, in dem es außer Hunger und Elend nichts mehr gab, wäre ein solcher Plan milde belächelt worden, als Vermessenheit, Größenwahn, um es mal gelinde auszudrücken.

Aber gerade in solchen Stunden, da die Uhr auf Null steht, zeigt sich der wahre Unternehmer. Jetzt konnten nur Mut, Entschlossenheit und Ideen helfen. Jetzt mußten Pioniere ran, die sich nicht unterkriegen ließen. Jetzt war die Zeit der großen Bewährung gekommen.

 

Es ist bezeichnend für Max Grundig, daß er wieder mal anfing, als andere am liebsten aufhörten. Wie damals, rückblickend auf 1930. Deutschland schlidderte damals in seine bis dahin schlimmste Wirtschaftskrise, die der Reichspräsident durch eine Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vergeblich in den Griff zu bekommen versuchte. Aber Max Grundig machte sich trotzdem selbständig, sprang kopfüber ins "eiskalte Wasser" eines unkalkulierbaren Risikos - und setzte sich durch.
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Perspektivlosigkeit und totale Unsicherheit - schon wieder

Genauso reagierte Max Grundig nun, 1945. Wieder war die Zeit mehr als unsicher, noch viel schlimmer als 15 Jahre zuvor. Niemand wußte, wie Deutschland oder was davon übriggeblieben war, jemals auf die Beine kommen sollte. An eine Zukunft war da noch nicht zu denken, und die Gegenwart war keinen Pfifferling wert. Max Grundig jedoch ließ sich wieder mal nicht unterbuttern. Er fing zum zweiten Mal in seinem Leben von vorne an, unbeirrt und voller Optimismus.

Frage Nummer eins: Wie das Zeug von Vach nach Fürth kriegen? Wickelmaschinen, Drahtrollen, Blechplatten, das konnte man nicht auf den Gepäckständer eines Fahrrads packen. Der nicht mehr ganz neue DKW-Lieferwagen stand in der Garage, ohne Zulassung und Sprit.

Wegen dieses Wagens hatte Max Grundig ohnehin schon genug Ärger gehabt. In den ersten Maitagen wollten die Behörden den DKW beschlagnahmen, und dazu brauchten sie den Kraftfahrzeugbrief. Max Grundig rückte ihn nicht raus. Den find' ich nicht. Natürlich hatte er ihn versteckt.

Die Polizisten ließen nicht locker. Sie sperrten ihn drei Tage ein, wieder mal. Und wieder mal vergeblich. Der Kraftfahrzeugbrief blieb verschwunden, der DKW in der Garage, die Polizisten verloren die Lust, Max Grundig konnte nach Hause gehen.
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