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Ein Freund schreibt über einen Freund. Egon Fein für Max Grundig zum 75. Geburtstag.

Mit Vater Grundig freilich hatte Vermieter Blank keine Schwierigkeiten. So sah damals sein Mietvertrag über die
Wohnung im zweiten Stock der Fürther Straße 196 aus, rechts neben dem Erker.

100 (Reichs-) Mark Miete im Vierteljahr

Vorläufig freilich blieb sein Wirkungskreis auf ein weißes Kinderbett in der Denisstraße 3 beschränkt, bis der Vater eine größere Wohnung suchte und fand, und zwar in der Fürther Straße 196.

Ein stattliches, typisch Nürnberger Mietshaus aus Sandstein, vier Stockwerke hoch, hübsche Erker und eine ausgebaute Mansarde.

Keine zweihundert Meter von den Herkules-Werken entfernt, wo Vater Grundig als Magaziner oder auch Lagerverwalter sein Brot verdiente.

Am 10. Oktober unterzeichnete er den von Hausbesitzer Bernhard Blank ausgefertigten Mietvertrag, der ihm und seiner kleinen Familie ab 1. Januar 1909 im zweiten Stockwerk drei Zimmer sicherte, für die er im Vierteljahr 100 Mark zahlte.

Harte Bräuche herrschten damals: Wurde die Miete nicht pünktlich bezahlt, konnte der Hausherr seine Schuldner nach drei Tagen auf die Straße setzen.

Weil indessen die Zeiten sich nicht allzu günstig entwickelten und die Gazetten von einem »Abflauen des Wirtschaftslebens« schrieben, was sich auch darin manifestierte, daß die Einlagen bei der Städtischen Sparkasse im Laufe des Jahres 1908 um 462.615 Mark und 47 Pfennig zurückgingen und 1909 weiter absackten, zog auch Vater Grundig seine Konsequenzen:

Mit Frau und Sohn siedelte er schon am 1. Oktober 1909 in die Wohnung nebenan um.

Sie hatte ein Zimmer weniger und es kostete nur noch 68 Mark und 75 Pfennig - im Vierteljahr.
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Das Pflänzchen hieß Beifuß

Schneidig: Die Wache am Nürnberger Königstor 1913, als Max gerade fünf Jahre zählte.
Kahnpartie in der Nürnberger Altstadt. Das war 1909 möglich, als die Pegnitz Hochwasser führte und die Innenstadt auf der Sebalder Stadtseite überschwemmte
Schüler Max mit Schwestern Minna, Agnes und Klara (»Cläre«). Aufgenommen während des ersten Weltkriegs in der Nürnberger Pestalozzistraße

Noch war Max junior nicht soweit, um die Vorteile des nahen Bahndamms der Ludwigs-Eisenbahn zu erkennen, der nur ein paar Meter entfernt von seiner Haustür verlief. Dort wuchs eine Menge Unkraut, aber wer genau hinschaute, der sah dazwischen ein paar Pflänzchen, die recht lukrativ sein konnten, wenn man sie nur zur rechten Zeit zupfte und an eine Nachbarin verscherbelte, die Sinn für die Gesundheit der Natur hatte.

Schon ein paar Jahre später erfaßte der gewiefte Junge diesen Wert des unscheinbaren Grases am Bahndamm...

Das Pflänzchen hieß Beifuß. Gar kein so übles Kraut, aber mit der Hypothek eines ordinären lateinischen Namens belastet: Artemisia Vulgaris. Eine Ödlandpflanze, doch wichtig als Küchengewürz, für Wild, Geflügel und Schweinebraten. Gesund und hilfreich bei Frauenleiden, nervösen Aufregungen, Krämpfen und Schlaflosigkeit...

Nun, damit hatte Mutter Grundig nichts im Sinn. Ihr lag eher an dem würzigen Geschmack, den der Beifuß sonntags dem Schweinebraten verlieh. Schließlich war sie eine vortreffliche Köchin, und darum schickte sie Söhnchen Max auf die Straße: »Geh, hol mal ein bissele Beifuß.«

Max ging, und mit ihm seine Freunde, schlaue Lausbuben aus der Nachbarschaft. Hatte der Beifuß seine hohe Zeit, dann stand er sehr zahlreich am Bahndamm. Soviel brauchte Mutter Grundig gar nicht. Was also mit dem Überschuß? Max: »Das Kraut verkaufen wir!«

Die Jungs ordneten den Beifuß zu appetitlichen Sträußen, setzten sich an den Straßenrand und warteten auf Kunden. Die kamen. Hausfrauen auf dem Weg zum Einkauf. »Woll'n S' an Beifuß für Ihr'n Schweinsbratn? Blouß a Zehnala.« Das Angebot war überzeugend, die Ware frisch, und »a Zehnala« heißt zu deutsch: 10 Pfennig.

Warum gerade 10 Pfennig?

Max Grundig war gerade in die Schule gekommen, als der erste Weltkrieg ausbrach. Am 31. Juli 1914, wurde die Mobilmachung verlesen.
Sechste Klasse, Volksschule Preißlerstraße im Westen Nürnbergs, Juni 1919: Ganz oben, rechts außen, Max Grundig. Da war er noch blond.

Dies hatte einen sehr gewichtigen Grund. Die Buben mochten Waffelbruch wie andere Kaviar, und da kosteten zwei Tüten exakt 10 Pfennig. Das war die Währung, das Geld gut angelegt und wieder ein paar hungrige Mäuler gestopft.

Denn wie sonst sollte man an 10 Pfennig kommen?

Die Eltern hatten keinen Hosenknopf zu verschenken, und Waffelbruch galt in der Lebkuchenstadt Nürnberg unter Kindern als eine ausgesprochene Delikatesse.
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Ideen muß man halt haben!

Das war die erste kaufmännische Tat des Max Grundig. Sein erstes selbstverdientes Geld. Ideen muß man halt haben!

Wie alt er war, als er das erste Zehnala in die mit Draht, Schusser (anderswo sagt man Murmeln) und anderem Krimskrams überfüllten Hosentaschen einschob, das ist leider nicht verbürgt.

Entweder war's noch, bevor Max 1914 zum Lehrer Georg Frühwald in die Volksschule an der Preißlerstraße einzog, oder in den ersten beiden Schuljahren, also irgendwann zwischen 1913 und 1916.
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Die Familie wurde immer größer

Schon vor diesen Jahren hatte sich bei Grundigs einiges getan. Die Familie wurde immer größer :

  • Am 11. Mai 1909, auf den Punkt genau zum 30. Geburtstag von Vater Max Emil, kam Schwester Wilhelmine zur Welt, Minna genannt,
  • am 29. Mai 1910 (warum bloß immer im Mai?) Schwester Agnes und
  • am 15 Januar 1912 das Nesthäkchen Klara, auch Cläre gerufen.


Dieser Zuwachs brachte die besorgten Eltern in räumliche Bedrängnis. Die zwei Zimmer in der Fürther Straße 196 reichten beim besten Willen nicht mehr aus.
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Muggenhofer Straße 55, dritter Stock, rechts. In diesem Haus an der Ecke zur Pestalozzistraße lebte Vater Max Emil Grundig bis zu seinem Tod

Also zog man um, aber das war gar nicht so einfach, denn die Wohnung durfte nicht teuer sein. Die Grundigs fanden sie erst in der Schnieglinger Straße 213, Parterre; dann in der Muggenhofer Straße 67, vierter Stock; in der Hillerstraße 13, Parterre; Spohrstraße 14, vierter Stock (dort lebten sie während des ersten Weltkriegs); und schließlich, bei Kriegsende, in der Muggenhofer Straße 55, dritter Stock.

Wo immer sie auch wohnten, sie blieben im Westen Nürnbergs, in den Stadtvierteln Gostenhof, Höfen oder Sündersbühl, nahe der Fürther Stadtgrenze. Ob Max damals schon den Drang nach Fürth verspürte?
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Die Städte Nürnberg und Fürth

Mehr als 90 Jahre lang verband die Ludwigs- Eisenbahn die Städte Nürnberg und Fürth.
Auf den Fahrkarten wurden sogar Wagennummer und Uhrzeit der Abfahrt vermerkt. Die letzte Fahrt 1925.

Dazu muß man wissen: Die Städte Nürnberg und Fürth sind zwar so aneinan-dergebaut, daß jeder Fremde sie für eine einzige Stadt halten muß. Aber nichts wäre verkehrter als das. So nah die beiden Städte sich geographisch sind, so fern waren sich damals die Bürger.

Ein 1919 und 1920 von ernsthaften Stadtpolitikem erwogenes Einigungsbestreben wurde von hartnäckigen Lokalpatrioten beider Seiten empört abgeschmettert. Nürnberg und Fürth zusammenzuschließen - eine Stadt daraus zu machen - unmöglich!

Die Fürther wollten sich nun mal um keinen Preis der Übermacht des östlichen Nachbarn beugen, und für die Nürnberger begann am anderen Ende der Fürther Straße das Ausland, wo lauter »Salzköpf'« leben (Nürnberger Schimpfwort für Fürther).

Für den Nürnberger Sportler lag dort gar Feindesland, was alljährlich bei den Fußballspielen zwischen dem l.FC Nürnberg und der Spiel Vereinigung Fürth schlagend bewiesen wurde. Aus »Sicherheitsgründen« schleppten besonders hartgesottene Fans derer vom Nürnberger Zabo Zaunlatten und anderes niedliches Schlagzeug zum Fürther Ronhof. Man konnte ja nie wissen, was die Fürther ausbrüteten! Daß ein Spiel abgebrochen wurde, weil die Spieler sich am Trikot und die Zuschauer in die Haare kriegten, war nicht selten.

Am 21. April 1924 per Eisenbahn nach Amsterdam

Wo sie auftraten, zitterten die Gegner, denn die Mannschaft des 1. FC Nürnberg, genannt »der Club«, war in den zwanziger Jahren Nummer 1 unter den Fußballern Deutsch' lands. Hier die Elf 1924, als mit den Fürthern nicht gerade Freundschaft herrschte.

Die Kapriolen zwischen Nürnbergern und Fürthern wurden grotesk, als ein gemischtes Team aus Spielern von Club und Kleeblatt, was zu deutsch Nürnberg und Fürth heißt, am 21. April 1924 per Eisenbahn nach Amsterdam fuhr, um als Nationalelf ein Länderspiel gegen Holland zu bestreiten.

Die Mannen reisten zwar im selben Zug, doch Nürnberg saß - geschart um Heiner Stuhlfauth - im ersten, Fürth im letzten Waggon. Sie spielten gemeinsam, gewannen gemeinsam 1:0, und fuhren zurück, wie sie gekommen waren - getrennt.

Gesprochen wurde kein Wort. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das alles ist Vergangenheit. Heute sehen die Fürther nicht nur wie Nürnberger aus (und umgekehrt), sie benehmen sich auch so (und umgekehrt). Nürnberg und Fürth trennt zwar nach wie vor die Stadtgrenze, an der Teile der Grundig-Werke stehen, aber sonst auch nichts mehr.

Fürth, der »Blinddarm-Fortsatz« der Nürnberger

Diese Lektion in Nürnberg-Fürther-Historie ist notwendig zum Verständnis einer fränkischen Posse. Nur so wird begreiflich, warum der Schritt zumindest ungewöhnlich war, den Max Grundig - Jahre später - tun sollte.

Er, ein waschechter Nürnberger, wechselte nach Fürth, um diesem »Blinddarm-Fortsatz« seiner Heimatstadt (Originalton aus Nürnberg) zur Weltgeltung zu verhelfen. Denn was taten die Fürther eilends? Sie verkauften Max Grundig vom Nordkap bis nach Feuerland als einen der ihren!

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