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Ein Freund schreibt über einen Freund. Egon Fein für Max Grundig zum 75. Geburtstag.

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Kapitel III - 10. Nov 1930 - "Ein Millionär wird 30"

übearbeitet von Gert Redlich im Winter 2018.

Ein leerer Laden mitten in der Stadt Fürth

Die Sternstraße verläuft an der Rückseite des Fürther Rathauses, vom Kohlenmarkt zum Obstmarkt, die Hausnummer 4 findet sich ziemlich am Anfang, auf der rechten Seite, wenn man von der Schwabacher Straße einbiegt. Eine gute Geschäftslage, mitten in der Stadt. Die Straße hieß früher Sternbrucker Gasse, und sie gehörte zum 9. Stadtdistrikt.

Der leere Laden auf Nummer 4 hatte links und rechts ein Schaufenster, in der Mitte den Eingang. Drinnen war genügend Platz für ein Radio-Fachgeschäft, mit Werkstatt und Büro natürlich. Dafür eigneten sich die Räume, die hinter dem Laden zum Hof führten.

Daß es nur Radios sein konnten und nichts anderes, womit Max Grundig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten gedachte, das war für ihn beschlossene Sache. Seit mehr als sechs Jahren beschäftigte er sich nun schon mit der Radiobastelei, das machte ihm Spaß und davon verstand er eine Menge. Warum also nicht das Hobby zum Beruf machen?
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Nov. 1930 - »den Laden mal genauer ansehen«

Mit der Firma Hilpert in Nürnberg hatte der Jungkaufmann Max Grundig abgeschlossen, die Übergabe des Geschäfts Blumenstraße 2, das jetzt einem Gustav Locker gehörte, restlich abgewickelt. Das war am Montag, 3. November 1930. Max aß wieder mal einen Pfannkuchen im »Dukla«, ging dann ins Cafe Fürst in der Sternstraße 2. Danach sah er sich - zum wievielten Mal eigentlich schon? - die Nummer 4 daneben an. An der Tür hing noch immer das Schild: »Laden zu vermieten«.

Dieser Laden gehörte dem Balthasar Reichel, der hier lange Jahre mit Hüten und Stöcken gehandelt hatte. Jetzt fühlte er sich wohl zu alt dafür und nannte sich fortan Privatier. Seinem Sohn Matthias konnte er die Firma nicht übergeben, der war Fotograf geworden. Auch das Schuhhaus Hagler aus der Schwabacher Straße 26, das hier kurze Zeit eine Filiale betrieben hatte, war im Oktober wieder ausgezogen.

Balthasar Reichel, der Hut- und Stockverkäufer

Am nächsten Tag, 4. November, warf Max Grundig sich in seinen besten Anzug, zog den guten Mantel an, weil's ein kalter, trüber und dazu noch regnerischer Novembertag war, und stieg in den ersten Stock des Hauses Sternstraße 4 hinauf. Er läutete.

Ein bärtiger, alter Mann in Hemd und Hosenträgern öffnete : Es war Balthasar Reichel. Er blickte recht mürrisch drein, aber das tat er immer.
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  • »Ja, was wollen S'?« fragte er. Mehr nicht.
  • Der Jungunternehmer in spe nahm seinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Ich möchte Ihren Laden mieten.«
  • »So.« Nur das eine Wort, und das steckte voller Zweifel. Der Bärtige sah den ein bißchen schmächtigen Max auch äußerst skeptisch an, so, als wollte er sagen:
  • »Was, du junger Bursch, woher willst denn Du das Geld nehmen?«
  • »Was kostet der Laden im Monat?«
  • »Einhundertfünfundsiebzig Mark.«
  • »Darf ich den Laden mal sehen?«

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"Bursch - zahlst drei Monatsmieten im voraus"

Max durfte, wenn auch der alte Reichel nur sehr widerwillig mit nach unten ging. Ihm schien der Mieter nicht solvent genug. Und darum stellte er auch gleich ein paar Forderungen:

»Wenn S' den Laden haben wollen, müssen S' drei Monatsmieten im voraus bezahlen, und den Kaufvertrag muß Ihr Vater auch unterschreiben, damit ich eine Sicherheit habe.« (Anmerkung : es hätte da wohl "Mietvertrag" heißen sollen)

»Mein Vater ist tot.«

Mutter Marie muß mitunterschreiben

»Dann soll eben Ihre Mutter unterschreiben.«

Daran wäre das Geschäft beinahe gescheitert. Mutter Marie schlug nämlich die Hände über dem Kopf zusammen: »Mein Gott, Bub, warum gibst du denn
deine gute Stellung auf? Was du vorhast, ist ein viel zu großes Risiko. Du weißt doch nicht, was die Zukunft bringt.«

Da hatte sie allerdings recht, und fast eine Woche lang blieb sie auch standfest. Die Mutter wollte verhindern, daß ihr Sohn sich ins Unglück stürzte. Denn was er da vorhatte, war das nicht ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang? Erst zum folgenden Wochenende, 9. November, ließ sie sich erweichen. Sie unterschrieb den Mietvertrag, wenn auch schweren Herzens, ihre Bedenken waren noch nicht ausgeräumt.

Endlich selbständig, direkt gegenüber von den "Erhards"

Am Montag, 10. November 1930, suchte Max Grundig, nun schon um eine Portion selbstsicherer geworden, den mürrischen Balthasar Reichel wieder auf und hielt ihm den unterzeichneten Mietvertrag samt der Vorauszahlung für drei Monate unter den Bart. Der akzeptierte, das Geschäft war perfekt, Max Grundig ein selbständiger Kaufmann mit eigenem Laden.

Schräg gegenüber fristete übrigens ein Weißwaren-Geschäft namens "Erhard" so recht und schlecht sein Dasein, das Elternhaus des späteren Bundeswirtschaftsministers und Kanzlers "Ludwig Erhard".

Eigentlich war die Zeit ausgesprochen unglücklich,
aber mit Mut und jugendlichen Optimismus ....

Daß Max Grundig dieses Wagnis ausgerechnet in einer Zeit einging, die von Wirtschaftskrisen nur so geschüttelt wurde, zeugt von seinem Mut - und von einem gesunden jugendlichen Optimismus. »Ich habe damals zu keiner Sekunde daran gedacht, daß die Sache hätte schiefgehen können. Das wäre ja eine Katastrophe gewesen, und sowas habe ich gar nicht einkalkuliert.«

So taxiert Max Grundig 50 Jahre danach seine ersten Unternehmerschritte.
Dabei standen die Chancen wirklich nicht gut. Die Wirtschaftskrise in Deutschland wurde von Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwaldt als ernst bezeichnet. Die Preise müßten fallen, verlangte er, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm gegen die Arbeitslosigkeit sei dringend notwendig; Steuererleichterungen würden geplant, 1931 gebe es kein Wachstum.

Der Haushaltsausschuß des Deutschen Reichstags forderte die Regierung auf, für 20 Millionen Reichsmark verbilligtes Frischfleisch kostenlos an »minderbemittelte Bevölkerungskreise« auszugeben. Der Kabinettsausschuß für Arbeits- und Preisfragen der Deutschen Reichsregierung beschloß, die Preise auf der ganzen Linie herabzusetzen, denn der Druck der Verbraucher und die Entscheidung der Käufer seien wichtiger als staatlicher Eingriff. »Auch der Bruchteil eines Pfennigs gewinnt in der Volkswirtschaft mehr Bedeutung denn je.«

Die »1. Große Fürther Rundfunk-Ausstellung« ab dem 4. Okt.

Aber das alles focht den tatenhungrigen Neuunternehmer in der Fürther Sternstraße 4 nicht an. Er wollte es jetzt wissen, und deshalb ließ er sich den steifen Krisenwind trotzig ins Gesicht blasen. Nach dem Motto: Das wäre doch gelacht, wenn ich es nicht schaffen würde!

Ganz sicher bestärkte ihn darin auch ein Ereignis, das in Fürth großes Aufsehen erregt hatte: Die »1. Große Fürther Rundfunk-Ausstellung« vom 4. bis 12. Oktober im Städtischen Eichamt am Helmplatz. Wohlweislich hatte man diese Radio-Demonstration während der Fürther Kirchweih plaziert, wenn Tausende aus ganz Franken nach Fürth pilgerten.

Dazu gab es Anzeigen in der »Nordbayerischen Zeitung«

Am Samstag, dem 4. Oktober 1940, inserierten in der »Nordbayerischen Zeitung«
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  • die »Fränkische Rundfunk-Gesellschaft« aus der Nürnberger Badstraße
  • (»Ein Triumph der deutschen Radiotechnik. Der bekannte Gloria-Empfänger aus dem neuen Lumophon-Werk«),
  • die Firmen Rösinger & Co., Fürth, Nürnberger Straße 7,
  • Johann Hofmann aus der Unteren Fischerstraße 10,
  • Willy Neugebauer, Mohrenstraße 13,
  • Georg Götz, Schwabacher Straße 41,
  • und die zu dieser Zeit noch von Max Grundig geleitete Firma C. Blödel, Blumenstraße 2, alias Hilpert.

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Hier hatte er ja erst vor drei Jahren den Radiohandel eingeführt.

Mit 3.000 + 3.000 Reichsmark und Karl Wurzer ging es los

Was andere konnten, dazu war ein Max Grundig auch allein imstande! Darum ging's von nun an Schlag auf Schlag:

Max Grundig legte all seine Ersparnisse zusammen, und das waren immerhin 3.000 Reichsmark, auf die hohe Kante gebracht in der lukrativen Filialleiterzeit beim Hilpert in der Blumenstraße. Weitere 3.000 Reichsmark pumpte Max Grundig sich, und dann stieg auch noch sein Freund Karl Wurzer aus der Unteren Baumstraße ein, 27 Jahre alt und etwas gelangweilter Sohn eines recht betuchten Subdirektors der Allianz-Versicherung.

Der Herr Subdirektor (ein Titel, mit dem der junge Grundig lange Zeit nichts anfangen konnte) hatte reiche Industrielle und Kaufleute auf die - für damalige Verhältnisse - Wahnsinnssummen von 500.000 und 1 Million Reichsmark lebensversichert und damit eine Menge Geld gemacht. Deshalb konnte Sohn Karl in Max Grundigs Geschäft einsteigen.
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Eröffnung am 15. 11. 1930 mit Ladentischen und Regalen

Zunächst wurde der Schreinermeister Weigel aus der Hirschenstraße 37 in Fürth bestellt, um den Laden einzurichten. Er zimmerte eilig Ladentische und Regale, Ablagen und Stellwände und verlangte dafür runde 1.500 Reichsmark.

Von diesem gleichermaßen tüchtigen wie schrulligen Schreiner wird noch einmal die Rede sein - wenn er, ein halbes Jahrhundert später, den indessen zum Großindustriellen avancierten Max Grundig zu seinem Erben bestellen will ...
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Der "Radio-Vertrieb Fürth, Grundig & Wurzer"

Dann, am 15. November 1930, wurde das neue Geschäft als Offene Handelsgesellschaft offiziell eröffnet, ins Handelsregister des Amtsgerichts Fürth am 16. Januar 1931 unter dem Aktenkennzeichen VIII/52 eingetragen.

Titel: Radio-Vertrieb Fürth, Grundig & Wurzer. Handel mit Radiogeräten und verwandten Artikeln, sowie Installation von elektrischen Einrichtungen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Karl Wurzer, der grundsätzlich nur nachmittags für ein paar Stunden im Geschäft erschien und sich - als verwöhnter Sohn - die Arbeit gewiß weniger strapaziös vorgestellt hatte, blieb nicht lange tätiger Teilhaber, sondern nur auf dem Papier bestehen.

Nach einigen amtlichen Umschreibungen und Neueintragungen gehörte Max Grundig ab 21. Juni 1934 die Firma, die er bis dahin auch ohne Partner geführt hatte, ganz allein. Er kaufte Wurzers Anteile.

Er dekorierte seinen Laden selbst, machte auch die Reparaturen allein, zumindest anfangs, stellte dann einen Monteur ein.

Die ersten Radiogeräte des (Nürnberger) Fabrikats »Lumophon«

Dann ließ er sich vom Großhändler Weiler aus Nürnberg die ersten Radiogeräte des Fabrikats »Lumophon« liefern, zog abends los, um die Geräte in den Wohnungen der Kunden aufzustellen und zu kassieren, sofern Kunden überhaupt gekommen waren, und gab für die Ausgaben vom 20. und 22. November sowie 5. Dezember 1930 der »Nordbayerischen Zeitung« die ersten Anzeigen auf.

Der Text lautete:
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  • »Rundfunk-Geräte, Lautsprecher und Schallplatten. Lumophon, »Die Weltmarke«, kaufen Sie am besten und zu billigsten Preisen bei der Firma Radio-Vertrieb Fürth, Sternstraße 4 - Besichtigen Sie unsere reichhaltige Ausstellung! Kostenlos und unverbindlich wird Ihnen jedes Funkgerät und Lautsprecher vorgeführt. Billigste Preise und beste Bedienung durch unsere Fachleute. Ein sofortiger Besuch ist Ihr Vorteil! Lumophon-Apparate erhalten Sie auf Zahlungs-Erleichterung in monatlichen Raten in Höhe von Reichsmark 14,10 an.«

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Nebenan in der »Nordbayerischen Zeitung« vom 20. Nov. 1930

In der Spalte nebenan der »Nordbayerischen Zeitung« vom 20. November 1930 pries das Nürnberger Filmtheater »LuLi« den neuesten Streifen »Die Drei von der Tankstelle« an, und die Fürther Bierführer wiesen auf ihren Stiftungsball im Geismann-Saal hin.

Im übrigen

  • spielte das Fürther Stadttheater in diesen Tagen die Oper »Falstaff« von Verdi (Platzmiete 7b),
  • feierte das Gräflich Pückler-Limpurgsche Schloß in Burgfarrnbach sein 100 Jubiläum,
  • spielte der Nürnberger Club gegen die Würzburger Kickers Fußball,
  • führte die Firma Henkel das Aufwasch-, Spül- und Reinigungsmittel IMI ein,
  • erhielt der Münchner Dr. Hans Fischer den Nobelpreis für Chemie,
  • suchte per Heiratsanzeige ein »gebildeter Landwirtssohn, 35 Jahre alt, protestantisch, stattliche Erscheinung, tadellose Vergangenheit, mit größerem Vermögen, passende Einheirat in Geschäft oder Landwirtschaft«,
  • bot das Kaufhaus Schocken Auszugsmehl an, das Pfund für 26 Pfennig,
  • flog das Flugboot DoX zum erstenmal über den Atlantik und
  • versuchte ein ungenannter Herr aus der Fürther Finkenstraße 2/Parterre, einen Radioapparat, neuwertig, Fernempfänger, mit Kraftverstärker, Gleichstrom 220 Volt, für 220 Reichsmark an den Mann zu bringen.

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Die Zeiten waren hart für teure Produkte

Es war nicht einfach, in diesen kritischen Anfangsdreißigern teure Produkte zu verkaufen, und das merkte auch der eben installierte Radiohändler Grundig. Nun sahen die Radiogeschäfte damals noch nicht so aus wie heute. Weil nicht jeden Tag ein Kunde kam, der mit einem Gerät unterm Arm wieder wegging, verlegte man sich in erster Linie auf den Verkauf von Ersatzteilen, Batterien, Glühlampen, Bastelzubehör, verdiente sein Geld mit Reparaturen.

Das tat Max Grundig nicht anders. 1930 gab es noch wenig Netz-, sondern mehr Batteriegeräte. Dazu brauchte man Anoden-Batterien und Akkus. Und so eine Anoden-Batterie für 12,60 Mark, etwa von der Größe einer kleinen Zigarrenkiste, war das erste Erfolgserlebnis des jungen Geschäftsinhabers, sein erster Verkauf, 12,60 Mark die erste Einnahme.

und der Anfang war schwer

In den folgenden Wochen blieb es etwas ruhig in der Sternstraße 4. Der Monteur hatte vornehmlich mit der Installation neuer Antennen zu tun, kaputte Radios wurden instandgesetzt, Batterien in einer eigenen Akku-Station aufgeladen.

Aber von großartigen Radioverkäufen war, zumindest in den ersten acht oder vierzehn Tagen, leider nur wenig die Rede. Da standen die Dinger nun rum, blitzsaubere Geräte von 150 bis 275 Reichsmark, daneben auch ein paar der alten Detektorapparate mit Kopfhörer. Sie allerdings verschwanden bald aus dem Sortiment.

Wo blieben die Käufer ?

Aber wo blieben die Käufer? Sie verhielten sich abwartend. Ein Neuer, den muß man sich erst mal gründlich anschauen, ehe man etwas kauft bei ihm. Franken sind nun mal etwas bedächtig, Fürther vielleicht ganz besonders. Also schwadronierten sie abends durch die Straßen, sahen sich die Schaufenster und die Preisschilder aus der Nähe an.

Diese Visitation schien für Grundig sehr günstig ausgefallen zu sein. Es geschah etwas, das vielen Geschäftsleuten oft mehr hilft als teure Werbekampagnen: Die Mundpropaganda breitete sich aus. Grundigs günstige Preise, die vorteilhaften Zahlungsbedingungen, die freundliche Bedienung, der prompte und gute Service bei den Reparaturen - all das sprach sich herum in Fürth.

Jetzt läutete die Ladenglocke schon öfter, dann kam zum Glück das Weihnachtsgeschäft. Die Geräte gingen weg, langsam zwar, aber das Lager lichtete sich, der Umsatz stieg. Doch die Frage, ob das Geschäft damit schon »über den Berg« war, die konnte an Weihnachten 1930 noch niemand beantworten.
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